Mit meinem ersten Buch begann ich 2019. An meinem Geburtstag meldete sich eine gute Freundin von früher, um mir zu gratulieren. Wir kennen uns schon lange, hatten uns aber für einige Jahre aus den Augen verloren. Mittlerweile arbeitete sie als Sozialarbeiterin in einer Erstaufnahme für geflüchtete Menschen. Sie fragte mich, ob ich nicht über die Menschen schreiben möchte, schließlich sei Schreiben und spannende Geschichten zu erzählen mein Job. Mir gefiel die Idee. Nach und nach stellte sie mich den Flüchtenden vor. Sie kamen überwiegend aus Afrika, aber auch aus der Türkei und Serbien. Sie berichteten mir über ihr Leben in ihrer Heimat und ihre Flucht, ihre Ängste und Hoffnungen, ihr Leben in Deutschland und über ihre Träume. Das Buch „Angekommen – Warum Menschen flüchten und wie es Ihnen in Deutschland geht“ erschien im Sommer 2021.
Ich gebe zu, ich hatte bis dahin keine klare Meinung zu Flüchtenden. Ich hatte nie das Gefühl, dass das Land seine Identität verliert, selbst wenn ich öfter als noch vor einigen Jahren Menschen auf den Straßen sehe, die anders sprechen und eine dunklere Hautfarbe haben als ich. Hin und wieder hat mich am Bahnhof der ein oder andere gefragt, ob ich ihm eine Fahrkarte am Automaten holen könnte. Das war lange Zeit der einzige Kontakt, den ich zu Flüchtenden hatte. Als Autor stand ich nun vor einer neuen Aufgabe. Ich musste keine Maschinen oder Prozesse beschreiben, die mir in meiner Funktion als Fach-Journalist ein begeisterter Ingenieur in allen Einzelheiten erklärte. Da saßen nun Menschen, die Traumatisches erleben mussten, denen beim Erzählen die Tränen kamen, die Angst hatten und die endlich in Frieden leben wollten.
Alle hatten sie ihre Gründe nach Deutschland zu kommen – ihre Geschichten sind ganz unterschiedlich
Hinweis: Bei „Veröffentlichungen“ neue ISBN:
ISBN-10 : 3754337475
ISBN-13 : 978-3754337479
Auflage: 2
lESEPROBE
Warum Menschen flüchten und wie es ihnen in Deutschland geht
Was bewegt Menschen eigentlich dazu, Freunde, Familie und ihre Vergangenheit hinter sich zu lassen? Ihr Leben zu riskieren, die gefährliche Fahrt übers Meer auf sich zu nehmen, am Ende in einem fremden Land zu sein und nicht zu wissen, wie es mit ihnen weitergeht? Diese Fragen interessieren mich schon lange. Aber auch: Wie geht es den Menschen, wenn sie hier angekommen sind? Sind sie glücklich? Konnten sie ihren Traum erfüllen?
Ich wohne nicht direkt gegenüber einer Flüchtlingsunterkunft, auch habe ich nicht das Gefühl, dass das Land seine Identität verliert, weil ich öfter als noch vor einigen Jahren Menschen auf den Straßen sehe, die anders sprechen und eine dunklere Hautfarbe haben als ich. Hin und wieder hat mich am Bahnhof der ein oder andere gefragt, ob ich ihm eine Fahrkarte am Automaten holen könnte. Das war lange Zeit der einzige Kontakt, den ich zu Flüchtlingen hatte. Hier in Deutschland fühlen sich manche Menschen von ihnen bedroht, fürchten um ihr Eigentum oder haben Angst vor dem Fremden. Und dann gibt es diejenigen, die diese Ängste nicht verstehen und oft auch noch verurteilen.
Menschen verlassen ihre Heimat aus bestimmten Gründen zum Beispiel vor Gewalt oder Verfolgung und suchen Schutz in einem anderen Land. Offiziell als Flüchtlinge gelten sie, wenn ihre Suche nach Asyl anerkannt wird. Der Mediendienst Integration, eine Informations-Plattform des „Rats für Migration“, empfiehlt statt „Flüchtling“ die Begriffe „Geflüchtete“ oder „Schutzsuchende“ zu verwenden . Mich interessieren die Gründe, warum Menschen zu Geflüchteten und Schutzsuchenden werden. Mich interessieren ihre Geschichten. Ich möchte sie von den Menschen persönlich erfahren. Ich werde in den nächsten Monaten Geschichten von Armut, Terror, Perspektivlosigkeit, Zwangsprostitution, Verfolgung aufgrund von Sexualität, häuslicher Gewalt oder vom grausamen Ritual der Genitalverstümmelung hören.
Ich habe einen Sozialarbeiter getroffen, der die Flüchtenden als seine Familie betrachtet. Er nennt sie Ankommende. Das Gefühl, angekommen zu sein, hätten die Menschen oft leider nur kurz, sagt er. Meist dann, wenn sie ihren Fuß das erste Mal auf europäische Erde setzen, manche erst, wenn sie endlich in Deutschland sind. Angekommen sind sie meist noch lange nicht. Denn die wenigsten wissen, ob sie bleiben dürfen. Ihre Reise hat oft erst begonnen.
GESCHICHTE 7
„Mein TRAUM HAT
EINE ANDERE fARBE“
Abdou ist
mittlerweile
Anfang 40. Sein
Traum hätte eine
andere Farbe
bekommen, er sei
schmutziger
geworden, sagt
der Senegalese
enttäuscht. Hier
in Deutschland
darf er nicht
arbeiten, und
das Taschengeld,
das er in der
Erstaufnahme
bekommt, ist zu
wenig, um sich
etwas aufbauen
zu können. Sein
Leben hier sei
schwierig. „Als
ich nach
Deutschland kam,
wog ich 72
Kilogramm,
wenige Monate
später waren es
nur noch 65.“
Im Sommer
besuchte er den
Christopher-Street-Day.
Er trug ein
Shirt, das offen
seine Sexualität
zeigte, kein
schräger Blick,
keine
Anfeindung. Er
schaut mich an
und fragt:
„Warum
akzeptiert die
deutsche
Regierung genau
das, nicht aber,
dass ich aus dem
Senegal komme?
Sie sagen, der
Senegal sei ein
sicheres
Herkunftsland.
Aber auch wenn
dort kein Krieg
herrscht, bin
ich nicht
sicher. In den
vergangenen
Jahren kam es in
meiner Heimat
immer wieder zu
Festnahmen. Wie
können sie mich
zurückschicken
wollen?“
Menschen mit
einer anderen
Sexualität haben
kein freies
Leben dort, sie
werden nicht
akzeptiert.
Geschichte 6
„es ist
scheinbar egal“
Adrijana erzählt von
einer Familie aus
Serbien. Die Tochter war
20 Jahre alt, aber nur
etwa so groß wie ein
etwa acht-jähriges
Mädchen. Sie saß im
Rollstuhl, war von
Geburt an blind und litt
unter Nierenversagen.
Sie musste jeden zweiten
Tag ins Dialysezentrum.
Die Ärzte sagten, dass
sie so ein komplexes
Nierenproblem bislang
nicht haben behandeln
müssen. Während das
Personal in der Klinik
streng auf die richtige
Ernährung ihrer
Patientin achtete, war
das im Aufnahmezentrum
anders. „Bei
Dialyse-Patienten muss
das Küchenpersonal unter
anderem auf den
Zuckergehalt im Essen
achten“, sagt Adrijana.
Sie erinnert sich an ein
Erlebnis mit einer
Köchin, der es scheinbar
egal war, was die junge
Frau zu sich nahm. Die
Dolmetscherin bekam dies
mit und machte die
Mitarbeiterin auf die
Ernährungsliste
aufmerksam. Die Antwort
der Köchin war abfällig,
erinnert sich Adrijana,
„warum soll ich mir denn
so viel Mühe machen
wegen dieser
Analphabetin“, fragt
diese genervt.
Geschichte 5
„Die schlimmste
Zeit meines Lebens“
„Als ich von Al-Shabaab gefangen genommen wurde, war das die schlimmste Zeit meines Lebens“, erinnert sich Asante. Weil er sich seinen Entführern widersetzte, folterten sie ihn. Was genau passiert ist? darüber will er nicht sprechen. „Ich war etwa ein halbes Jahr in Gefangenschaft. Dann haben mich Amison-Soldaten befreit“, erzählt er. Amison steht für African Union Mission und ist die weltweit zweitgrößte internationale Friedenstruppe mit UN-Mandat.
Doch auch nach seiner Befreiung war Asante noch lange nicht in Sicherheit. Die Terroristen kontrollieren viele Teile des Landes, deswegen konnte er den Schutz seines Herkunftslands nicht in Anspruch nehmen. „Mitglieder der Organisation finden sich selbst in Regierungskreisen“, sagt er. Um der Terrormiliz endgültig zu entkommen, verließ Asante seine Heimat Somalia. Er war gerade 18 Jahre alt.
Geschichte 4
„Ich will die Kraft haben, weiterzumachen“
Hanad ist vor dem Terror in Somalia geflohen. „Die Islamisten kamen auf Pick-ups mit aufmontierten Maschinengewehren. Sie zündeten ferngesteuerte Bomben und verübten Selbstmordattentate.“ Seit er in Deutschland ist, ist sein Leben ruhiger. Hanad ist noch jung. Wenn ihm die Gelegenheit geboten wird, möchte er eines Tages studieren, vielleicht Politik. Er denkt positiv. Das sei so wichtig. „Wenn du jeden Tag das Schlimmste vor Augen hast, drehst du irgendwann durch.“ Er kennt Flüchtende, die die Hoffnung auf ein besseres Leben verloren haben. Ist man in dieser Abwärtsspirale gefangen, verliert man schnell den Halt und den Glauben an sich selbst. Hanad will die Kraft haben, weiterzumachen. „Ich will nicht aufgeben, ich weiß, ich werde es schaffen.“ Er ist zuversichtlich.
Und er ist glücklich, in Deutschland zu sein. Sein Ziel ist es, die Ausbildung erfolgreich zu beenden. „Ich habe mich in Deutschland gut integriert und ich beherrsche die Sprache“, sagt Hanad. Nach der Ausbildung will er einen Arbeitsplatz finden und Geld verdienen, damit er für sich und seine kleine Familie sorgen kann. Wenn er an Somalia denkt, vermisst er seine Geschwister, die inzwischen selbst Kinder haben. Aber er möchte nicht, dass sein Kind dort aufwächst.
Geschichte 3
„Mein Leben fühlte sich wie ein Alptraum an“
Efias Leben, so wie sie es kannte, war mit einem Schlag vorbei. Schon kurze Zeit nach der Beerdigung ihres Ehemannes beschloss ihre Familie, sie mit ihrem Schwager zu verheiraten. Sie liebte ihn nicht und wollte schon gar nicht die Hochzeit. Doch ihre Familie entschied, was gut für sie ist.
„Schon bald fühlte sich mein neues Leben wie ein Albtraum an“, erzählt sie. Sie musste das Geld verdienen, weil er nicht arbeiten wollte. „Wir stritten uns ständig. Er beschimpfte mich, und immer wieder wurde er gewalttätig“, sagt sie. Er würgte sie und trat nach ihr. „Nachts hat er mich gezwungen, mit ihm zu schlafen. Ich weinte und wehrte mich. Ihm war das egal. Mein Ehemann hat meine Seele gebrochen.“ Er drohte ihr sogar mit Beschneidung. Immer wieder schlug er sie mit allem, was er in die Finger bekam. Eines Tages hat er sie so sehr verprügelt, dass sie mit schweren Verletzungen ins Krankenhaus kam. Sie wusste, sie muss weg. Sie hatte Angst um ihr Leben. Egal wo sie sich in ihrer Heimat Gambia verstecken würde, ihr Ehemann würde sie finden. Das Land sei zu klein. Es gäbe keinen Ort, wo sie hingehen könnte.
Geschichte 2
„Ein normales Leben war nicht mehr möglich“
Es ist Sommer und es soll an diesem Tag bis zu 40 Grad heiß werden. Ich treffe Abdou in einem kleinen Café. Er hat Melisa mitgebracht. Sie kommt aus Somalia und arbeitet als Dolmetscherin. Abdou spricht kein Englisch, nur wenige Brocken Deutsch. Dafür Französisch, das er an manchen Stellen mit Spanisch vermischt. Sie lächelt, wenn sich seine Worte mischen, es funktioniert sehr gut.
Von Abdou wusste ich nur, dass er aus dem Senegal kommt und bisexuell ist. „Dort wo ich geboren und aufgewachsen bin, besteht die Bevölkerung zu 97 Prozent aus Muslimen. Die Menschen sind streng religiös", übersetzt mir Melisa die Worte von Abdou. „Homosexualität darf in deren Augen nicht akzeptiert werden.“ Zu Gefängnis oder Geldstrafe kommen Diskriminierungen und Beleidigungen. Ein normales Leben ist für den Betroffenen nicht mehr möglich. Er war gerade 18 Jahre alt, als er einen Mann kennenlernte und sich verliebte. Sie versuchten, ihre Beziehung geheim zu halten, wurden aber gesehen. Die Menschen fingen an zu reden, erinnert er sich. Er hatte Angst.
Geschichte 1
„Überall
Müllberge und Ratten“
Italien war schlimm
für Noam und Familie. Er
kommt aus Nigeria uns
ist vor der Armut
geflüchtet, die in dem
Land herrscht. Als sie
in Italien ankamen,
sahen sie viele andere
Geflüchtete, die auf der
Straße oder in alten
Fabrikgebäuden am
Stadtrand lebten. Dort
gibt es meist keinen
Strom und Warmwasser.
„Überall Müllberge und
Ratten“, beschreibt er
die Situation. Zwar
haben Asylbewerber
Anspruch auf eine
Flüchtlingsunterkunft,
doch viele bekommen
wegen Überfüllung keinen
Platz oder verlieren ihn
in ihrer zugewiesenen
Erstaufnahme wieder. Zum
Beispiel wenn sie dort
an mehreren Tagen
hintereinander nicht
übernachten. In Italien
werden die Menschen nach
einem Jahr oft auf die
Straße gesetzt, erfahre
ich. Das liegt zum einen
am begrenzten Platz, zum
anderen wird von den
Menschen erwartet, dass
sie bis dahin selbst
Arbeit gefunden haben
und sich allein
versorgen können. Viele
der Geflüchteten
arbeiten notgedrungen
für einen Hungerlohn als
Erntehelfer. Sie ernten
zum Beispiel Tomaten,
Paprika oder Zucchini,
die nach Deutschland
geliefert werden.